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Götter und Menschen bei Julius Evola

Der Gott Pan
Der Gott Pan

Götter und Menschen – mit diesem Thema hat sich auch der große italienische Kulturphilosoph Julius Evola eingehend auseinandergesetzt.

Götter sind für ihn weder passé, noch folgt er der Tradition an Götter zu glauben. Bei Julius Evola sind Götter die Erfahrung „nackter wirkender Kräfte“.

Das folgende Text stammt aus seinem Werk „Revolte gegen die moderne Welt“.

Die Formatierung und Zwischenüberschriften von mir – A.J.


„In der gegenwärtigen Auffassung beruht die Religion auf der Vorstellung von Gottheiten, die als Wesen für sich gelten, oder gar auf einer Vorstellung, die Gott als persönliches Wesen und segenbringenden Lenker des Universums sieht, der Kult wird im wesentlichen als eine liebende Hingabe, als gefühlsbetonte und demütige Beziehung des „Gläubigen“ mit diesem oder diesen Wesen angesehen, wobei bei dieser Beziehung das moralische Gesetz das wesentliche Moment darstellt.

In den ursprünglichen Formen der Traditionswelt würde man vergeblich etwas ähnliches suchen. Es sind Kulturen bekannt, die für ihre Götter weder Namen noch Bilder besaßen, wie man es sogar von den Pelasgern berichtet. Auch die Römer stellten ihre Gottheiten beinahe zwei Jahrhunderte lang nicht bildlich oder höchstens in Form eines symbolischen Gegenstandes dar.

Selbst der Animismus, d.h. die Vorstellung, daß eine „Anima“ (Seele) die Grundlage einer allgemeinen Darstellung des Göttlichen und der Kräfte des Universums bilde, entspricht nicht dem ursprünglichen Zustand; vielmehr entspricht ihm die Vorstellung oder Wahrnehmung von reinen Kräften, wofür die römische Auffassung des numen wiederum eine der zutreffendsten ist.

Götter als wirkende Kräfte

Das numen ist im Gegensatz zum deus (Gott, wie er in der Folgezeit aufgefaßt wurde) weder ein Wesen noch eine Person, sondern eine nackte Kraft, die durch die Fähigkeit, Wirkungen auszulösen, zu handeln und in Erscheinung zu treten, definiert wird. Das Erfühlen der tatsächlichen Gegenwart solcher Kräfte, solcher numina, als etwas Transzendentes und doch in allem Innewohnendes, als Wunderbares und gleichzeitig Furchterregendes stellte das Wesen der ursprünglichen Erfahrung des „Heiligen“, des „Sakralen“ dar.

Ein bekannter Ausspruch von Servius zeigt deutlich, daß in den Anfängen „Religion“ nichts anderes war als Erfahrung. Und wenn auch mehr zurechtgemachte Gesichtspunkte im Exoterismus, d.h. in den für das Volk bestimmten traditionalen Formen, nicht ausgeschlossen waren, wurde man in den „inneren Lehren“ unterrichtet, daß die mehr oder weniger vergegenständlichten, persönlichen Gottheiten Symbole sind für über der Vernunft und über den Menschen stehende Seinsweisen.

Wie gesagt, bestand der Mittelpunkt in der realen und lebendigen Gegenwart solcher Seinszustände in einer Elite oder wenigstens im Ideal ihrer Verwirklichung durch das, was in Tibet ausdrücklich „direkter Weg“ heißt und was im allgemeinen in der Initiation als effektiver Seinswechsel der inneren Natur seinen Ausdruck findet. Als Losungswort der traditionalen „inneren Lehre“ kann wohl dieser Ausspruch aus den Upanischaden gelten: „Wer eine Gottheit verehrt, die verschieden ist vom spirituellen Ich (atma) und sagt: „Dies ist das eine, und ich bin das andere“, der ist kein Weiser, sondern wie ein Tier, das den Göttern nützlich ist.“

Im eher äußeren Kreis gab es eben den Ritus. Aber im Ritus war wenig „Religiöses“ zu finden und in dem, der ihn vollzog, wenig dramatisches Pathos, es handelte sich eher um eine „göttliche Technik“, d.h. um eine unsichtbare Kräfte und innere Bewußtseinszustände zwingende und bestimmende Handlung, in ihrem Geist der Technik ähnlich, die man heute für die physikalischen Kräfte und die Zustände der Materie konstruiert hat. Priester war einfach, wer dank seiner Fähigkeiten und der damit verbundenen besonderen Tugend (virtus) die besagte Technik wirksam anzuwenden verstand.

„Religion“ war gleichbedeutend mit den indigitamenta des Urrömertums, d.h. der Formelsammlung, die man von Mal zu Mal für die verschiedenen numina verwenden mußte. Man wird also verstehen, daß Gebete, Ängste, Hoffnungen und andere Gefühle gegenüber dem, was den Charakter eines numen, d.h. einer Kraft hat, genauso wenig Sinn haben, wie diese Gefühle auch für einen modernen Menschen sinn– und wertlos sind, wenn er zum Beispiel eine mechanische Erscheinung hervorrufen will.

Götter und Menschen

Es ging vielmehr darum, genauso wie in der Technik die Zusammenhänge zu erkennen, die, war einmal durch einen korrekt vollzogenen Ritus eine Ursache gesetzt, immer auch eine zwingende Wirkung folgen ließen, und zwar im Rahmen der „Mächte“ und allgemein der verschiedenen, unsichtbaren Kräfte und verschiedenen Seins–Zustände. Das Gesetz des Handelns hat also Vorrang. Aber das Gesetz des Handelns ist auch das Gesetz der Freiheit: Keine Fessel beschränkt geistig die Wesen. Sie haben nicht zu hoffen, und sie haben nicht zu fürchten: Sie haben zu handeln.

So herrscht in der ältesten indo-arischen Vorstellung der Welt eben ausschließlich das sich aus höheren Naturen zusammensetzende brahmana–Geschlecht, das durch die Kraft des Ritus Herr über Brahman ist, worunter hier das Urlebensprinzip verstanden wird; und die „Götter“ sind, wenn nicht Personifikationen der rituellen Handlung, d.h. durch diese Handlung erst entstandene oder zu neuem Leben erweckte Wesenheiten, geistige Kräfte, die sich ihr beugen.

Der Mensch, der nach der fernöstlichen Tradition Autorität hat, besitzt, … die Würde einer „dritten Macht zwischen Himmel und Erde“. „Seine Fähigkeiten sind weit und ausgedehnt wie der Himmel; die geheime Quelle, der sie entstammen, ist tief wie ein Abgrund.“ „Seine Fähigkeiten und mächtigen Eigenschaften kommen dem Himmel gleich.“

Im alten Ägypten waren sogar die „großen Götter“ durch die Priester, die im Besitz der heiligen Formeln waren, von der Vernichtung bedroht. Kamutef, d.h. „Stier seiner Mutter“, also derjenige, der als Mann die Ursubstanz besitzt, war ein Titel des ägyptischen Pharaos; und auch in anderer Hinsicht ist er in der Beziehung zum Göttlichen der Bestimmende und nicht der Bestimmte. In der Formel, die von den ägyptischen Pharaos vor den Riten ausgesprochen wurde, liest man z.B.: „Oh Götter, ihr seid gerettet, wenn ich gerettet bin; eure Doppel sind gerettet, wenn mein Doppel an der Spitze aller lebenden Doppel ist: Alle leben, wenn ich lebe.“

Formeln der Glorie, der Macht und der absoluten Identifikation werden von der „osirifizierten“ Seele während ihrer Prüfungen gesprochen. Diese Prüfungen können übrigens auch den Graden der solaren (sonnenhaften) Initiation gleichgestellt werden. Diese Traditionen setzten sich im alexandrinischen Schrifttum fort, wo man von einem „Heiligen Geschlecht der Königslosen“ sprach, das „selbstbestimmend und immateriell ist und wirkt, ohne der Handlung zu unterliegen“; und eine „heilige Wissenschaft aus alten Jahrhunderten“ ist ihm gegeben, wie sie den „Herrn des Geistes und des Tempels“ eigen ist und die nur den Königen, Herrschern und Priestern mitgeteilt wird: eine Wissenschaft, die auch mit den Riten des pharaonischen Königtums in Beziehung stand und die in der Folge im Abendland eben den Namen Ars Regia (königliche Kunst) annehmen sollte.

Nicht die Dogmen waren wichtig, sondern der Ritus

In den höchsten Formen der leuchtenden, indio-europäischen Geistigkeit in Griechenland wie im alten Rom und im Fernen Osten, bedeutet die Doktrin nichts oder so gut wie nichts; nur die Riten waren feststehend und unumgänglich. Die Rechtgläubigkeit wurde durch sie und nicht durch Dogmen bestimmt, mehr durch Praktiken als durch Ideen. Nicht das „Nicht–Glauben“, sondern die Vernachlässigung der Riten war sacrilegium und Gottlosigkeit.

Das alles sprach aber nicht für einen „Formalismus“, wie es das Unverständnis der modernen, mehr oder weniger durch die protestantische Mentalität beeinflußten Geschichtsschreiber will, sondern im Gegenteil für das nackte Gesetz des geistigen Handelns. Auch im achäisch-dorischen Ritual gab es keine Gefühlsbeziehungen sondern beinahe ein do ut des (ich gebe, damit Du gibst). Im „religiösen“ Sinn wurden vielfach nicht einmal die Götter des Begräbniskultes behandelt: Sie liebten die Menschen nicht, noch wurden sie von den Menschen geliebt. Mit dem Kulte wollte man sie nur für sich gewinnen und verhindern, daß sie unheilvoll wirkten.

Auch die expiatio (Sühne) hatte ursprünglich denselben Charakter eines objektiven Vorgehens, wie ihn z.B. das medizinische Vorgehen gegen eine Infektion hat, ohne Zutun von etwas, das einer Bestrafung oder einer Seelenreue geähnelt hätte. Die Formeln, die jede patrizische Familie und jede antike Stadt in den Beziehungen mit den Mächten ihres Schicksals verwendete, waren die gleichen, die ihre entsprechenden göttlichen Stammväter schon verwendet hatten und denen die „Mächte“, die numina nachgegeben hatten:

Sie waren also das Erbe einer mystischen Herrschaft; nicht ein Gefühlserguß, sondern eine auf übernatürlichem Gebiet wirksame Waffe, allerdings immer unter der Voraussetzung (die für jede Technik gilt), daß im Ritus nichts abgeändert würde.“

Quellen:

Bildquelle: 

© die-goetter.de

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