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Walpurgisnacht – mythische Wurzeln

Walpurgisnacht - die Nacht, in der alle Hexen zum Brocken, dem höchsten Berg im Harz fliegen.
Walpurgisnacht – die Nacht, in der alle Hexen zum Brocken, dem höchsten Berg im Harz fliegen.

Berühmt wurde das alljährlich wilde Treiben in der Walpurgisnacht durch Goethe. Erfunden hatte Goethe dieses Fest natürlich nicht. In seinem „Faust“ nimmt er eine uralte Tradition ekstatischer Vereinigung von Weiblichem und Männlichem auf, wie sie in wohl fast allen Kulturen und Religionen im Frühjahr gefeiert wird.

Die Nacht vom 30.April zum 1.Mai

Seine Wurzel hat das wilde Treiben in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai in vorchristlichen Frühjahrsbräuchen, bei denen die Ankunft des Frühlings mit nächtlichen Freudenfeuern gefeiert wurde. Die erste größere, zumindest offiziell bekannte Walpurgisfeier auf dem Brocken soll dann erst vor gut hundert Jahren, im Jahr 1896 stattgefunden haben. Deutschlandweit bekannt ist heute der Hexentanzplatz in Thale, am Ostrand des Harz, hoch über dem Bodetal. Man gelangt zu Fuß dorthin oder mit der Seilbahn. Und auf Schritt und Tritt begegnet einem Goethes Faust.

Das ursprüngliche Walpurgisfest

Die ursprüngliche Walpurgisnacht war ein Fruchtbarkeitsfest, genauer gesagt ein Mondfest im Frühling. In dieser Nacht feiern, so heißt es, alle Hexen, junge wie alte, auf dem Blocksberg im Harz, ein Fest. Sie warten auf die Ankunft des gehörnten Gottes. Wenn der gehörnte Gott erscheint, feiern die Hexen seine Ankunft ekstatisch – ein rauschendes Fest sexuellen Begehrens und voller Lust. Dieser gehörnte Gott verkörperte ursprünglich das Männliche, und vereinigte sich in der Walpurgisnacht mit dem Weiblichen. Mit dem Monotheismus, der nur noch einen Gott kannte, wandelte sich der Charakter des Festes in sein Gegenteil – zumindest in der öffentlichen Meinung. Und aus einem uralten Symbol der fruchtbaren Männlichkeit, dem Phallus, wurde ein Sinnbild des Bösen. Der heilige gehörnte Gott wurde fortan als Teufel gedisst, wie man heute sagt.

Blick zum Brocken
Blick zum Brocken

Frühlingsfeste waren Feste rauschender Ekstase

Das Walpurgisfest in unseren Breiten hat Vorläufer bzw. Parallelen zu ekstatisch zelebrierten Frühlings-Festen in vielen anderen Kulturen und Religionen. Für unser christlich geprägtes Abendland manchem vielleicht schwer vorstellbar galten Rausch und sexuelle Ekstase in allen alten Kulturen als heiliges Ritual.

Nuit und Geb im alten Ägypten

Im alten Ägypten waren es besonders der Gott Min sowie der Gott der Erde Geb und die Göttin des Himmels Nut, die sexuelle Vereinigung als Schöpfungsakt der Welt feierten. Erhaben und nahbar zugleich wirkt Nut als der nackte Glanz des wollüstigen Sternenhimmels. Als Himmel die ganze (ägyptische) Welt schützende Nut schmückt auch viele Sarkophage. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass man sich auch die Vereinigung der Seele mit den Göttern als ekstatisch vorstellte.

Heilige Hochzeit von Inanna und Dumuzi in Sumer

Aus der sumerischen frühen Hochkultur stammt die Tradition und das gleichnamige Ritual der Heiligen Hochzeit. Inanna, die bekannteste Göttin der alten Sumerer vereinigt sich in diesem heiligen Ritual mit Hirten Dumuzi. Der Wechselgesang zwischen Inanna und Dumuzi – zu ihrer Hochzeitsnacht – gehört zu den schönsten Versen der sumerischen Dichtung. Und um die Göttin Inanna ranken sich viele Mythen, von denen erstaunlich viele recht gut überliefert sind. Sexspielzeuge im engeren Sinne wie den modernen Druckwellenvibrator kannten die Götter und Menschen im alten Sumer natürlich noch nicht. Im weiteren Sinne aber gab viele kleine Helferlein – auch beim rituellen Liebesspiel, ebenso wie Aphrodisiaka. Und Inanna und Dumuzi konnten ihre Liebeslust besingen – ein Aphrodisiakum auch dies – dass es eine Freude ist. Das Gleichnis von fruchtbarem Schoß und fruchtbarer Erde, um die es bei den traditionellen Frühlingsfesten geht, wird dank Inanna und Dumuzi so schön deutlich wie sonst selten:

Inanna singt
„Mein Schoß, das Horn, das Boot des Himmels,
Es ist voller Begierde wie der junge Mond
Mein unbearbeiteter, er liegt brach
Wer wird meinen Schoß pflügen?
Wer wird meinen Acker pflügen?
Wer wird meine feuchte Erde pflügen?“

Dumuzi singt
„Hohe Frau,
der König wird deinen Schoß pflügen!
Ich, der König, werde deinen Schoß pflügen.“

Dionysos wird ekstatisch empfangen im antiken Griechenland

Der Walpurgisnacht am ähnlichsten und womöglich am ehesten ein Vorbild sind vermutlich die sogenannten Dionysien im antiken Griechenland. Die Dionysien feierte man im antiken Griechenland jedes Jahr – zu Ehren des immer wiederkehrenden Gottes Dionysos. Die Verehrung des Dionysos als Gott der Fruchtbarkeit, sexuellen Lust und Ekstase wird im Dionysoskult wie in vielen anderen Kulturen, durch den Phallus repräsentiert. Fruchtbarkeit bezieht sich also auch im alten Griechenland nicht nur darauf, dass die Pflanzen wachsen mögen, sondern auch darauf, dass das eigene Leben lebendig, ekstatisch und kreativ sein soll. Orgiastische Feiern als Verehrung des Gottes Dionysos und seiner wilden Schar.

Pompeji - Dionysoskult
Pompeji – Dionysoskult

Die Walpurgisnacht in Goethes Faust I

Goethe nimmt im ersten Teil des Faust die Tradition des Hexenritts zum gehörnten Gott auf, nicht so sehr die christliche Deutung des wilden Treibens auf dem Blocksberg. Doch tut er das auf sehr spezielle und berühmt gewordene, Weise: Mephisto überredet Faust, an seiner höchsten Feier im Jahr – dem Hexenfest auf dem Brocken im Harz teilzunehmen. Hier ist er ganz in seinem Element und will Faust von Gretchen ablenken. Dieses Fest gilt ihm, Mephisto, dem Gegenspieler aber auch unentbehrlichen Begleiter von Faust. Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem Dialog zwischen Faust und Mephisto.

Faust

Doch droben möcht ich lieber sein!
Schon seh ich Glut und Wirbelrauch.
Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
Da muß sich manches Rätsel lösen.

Mephistopheles

Doch manches Rätsel knüpft sich auch.
Laß du die große Welt nur sausen,
Wir wollen hier im stillen hausen.
Es ist doch lange hergebracht,
Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
Da seh ich junge Hexchen, nackt und bloß,
Und alte, die sich klug verhüllen.
Seid freundlich, nur um meinetwillen;
Die Müh ist klein, der Spaß ist groß.
Ich höre was von Instrumenten tönen!
Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewöhnen.
Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders sein,
Ich tret heran und führe dich herein,
Und ich verbinde dich aufs neue.
Was sagst du, Freund? das ist kein kleiner Raum.
Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe
Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt
Nun sage mir, wo es was Bessers gibt?

Altgriechischer Deckel einer Vase: Geflügelter Phallus
Altgriechischer Deckel einer Vase: Geflügelter Phallus

Faust lässt sich schon faszinieren von dem Geschehen auf dem Blocksberg. Schließlich aber fällt ihm Gretchen ein, er sieht sie vor sich mit einem roten Strick um den Hals. Er sieht als Vision, was Gretchen bevorsteht. Man wird sie hinrichten, da sie mit ihm (und er mit dem Teufel) im Bunde war und nun schwanger ist. So einfach lässt es sich an der alten Tradition eines ekstatischen Frühlingsfest also doch nicht anknüpfen. Der erste Teil von Goethes Faust endet als Tragödie und Faust ist fertig mit der Welt.

Die klassische Walpurgisnacht – in Goethes Faust II

Im zweiten Teil des Faust verlegt Goethe den Vereinigungskult dorthin zurück, woher er (seines Wissens nach) stammt – ins antike Griechenland. Hier muss er nicht befürchten, mit seiner Sehnsucht nach dem Weiblichen schlechthin eine Hexenverfolgung auszulösen. Im antiken Griechenland, dem Griechenland seiner Vision, verbindet und verwandeln sich mythische Wesen wie Galathee und Homunkulus, Sirenen, Nymphen, Phorkyaden, Sphinxen und auch dieser und jener griechische Philosoph. Auch Mephisto ist nun nicht mehr der Herr der Hexen, sondern eine Gestalt von vielen. Das macht sogar mit Mephisto was, auch er verwandelt sich. Er sucht nach dem Hässlichen und verwandelt sich schließlich in Phorkyas, die Verkörperung des Hässlichen schlechthin. Faust selbst aber sucht nach der schönen Helena, mit der er sich – sie das Idealbild des Schönen selbst, vereinen will:

Faust (zu Chiron)

So sei auch sie durch keine Zeit gebunden!
Hat doch Achill auf Pherä sie gefunden,
Selbst außer aller Zeit. Welch seltnes Glück:
Errungen Liebe gegen das Geschick!
Und sollt‘ ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,
Ins Leben ziehn die einzigste Gestalt?
Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,
So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?
Du sahst sie einst; heut hab‘ ich sie gesehn,
So schön wie reizend, wie ersehnt so schön.
Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen;
Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.

Es gelingt Faust, die schöne Helena ins Leben zu ziehen oder besser gesagt an einen ebenfalls mythischen Ort, den Hof des griechischen Helden und Ehemann der Helena Menelaos. Dort, bevor Faust mit Helena den Bund der Ehe eingehen kann, aber entschwindet sie und löst sich (wieder) ins Neblige auf. Ihm bleibt nur ein leerer Schleier in seinen Händen zurück.

Quellen:
https://www.grin.com/document/94066
https://www.tagesschau.de/inland/erster-mai-103.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Phallus
https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/faust2/faust2.html

Bildquellen:
© die-goetter.de / AdobeStock_213411606 / AdobeStock_331022462 / Unbekannt – Selbst fotografiert von Marsyas; Aufgenommen am 21. Dezember 2005 (gemäß Exif-Daten); 22. Dezember 2005 (Hochladedatum), CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=473232

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