StartHelden & HeldenreiseHerakles am Scheideweg

Herakles am Scheideweg

Herakles am Scheideweg, Gemälde von Annibale Carracci
Herakles am Scheideweg, Gemälde von Annibale Carracci, 1596

Bevor es so richtig losgeht mit Herakles Taten, kommt der werdende Held an den Punkt, an dem er seine Lebens-Entscheidung treffen muss. Diese Situation wird als  „Herakles am Scheideweg“ in die Geschichte eingehen. So wenigstens erzählt es der Philosoph Prodigos aus der Blütezeit der Polis Athen. In den ursprünglichen Mythen rund um Herakles kam dieser Scheideweg nicht vor.

Voraussichtliche Lesedauer: 5 Minuten

Herakles am Scheideweg – eine Erfindung von Prodigos

Vielleicht wird dir bei dieser Geschichte auffallen, dass sie so etwas wie einen moralischen Zeigefinger sie eine sehr deutliche moralische Anweisung enthält. Ein Held soll der Tugend folgen, nicht der Lust. Der Mythos selbst spricht eine andere Sprache. Mythen stellen ihre Helden nicht vor solche Entscheidungen. Und wenn doch, würde ein Held sich nicht so eindeutig entscheiden, ohne die Folgen seiner Entscheidung am eigenen Leib zu erleben. Für einen Mythos also halte ich diese Geschichte von Herakles am Scheideweg nicht, eher für ist ein Gleichnis, das ein Philosoph, Prodigos, im 5. Jh. v. Chr. ersonnen hat. Die Zeit der Mythen war zu eben jener Zeit im antiken Griechenland gerade im Begriff, zu Ende zu gehen.

Herakles zwischen der "Lust" und der "Tugend" - ein Gleichnis, das der Sophist Prodigos erfunden haben soll.
Herakles zwischen der „Lust“ und der „Tugend“, – ein Gleichnis, das der Sophist Prodigos erfunden haben soll. Gemälde von Tischbein, 1779

Herakles am Scheideweg von Tugend und Lust

In jungen Jahren, so erzählt also der Sophist Prodigos, soll sich Herakles einmal an einen weit abgelegenen Ort zurückgezogen haben. Dort dachte er ein Weilchen darüber nach, welche Lebensart er für sich wählen sollte. Als Herakles an den Scheideweg kam, von dem ab zwei Wege ihn weiterführten, traten ihm zwei Frauen entgegen. Es waren zwei ansehnliche Frauenspersonen, die sich dem Herakles mit ihren Namen vorstellten.

  • Die eine war sehr schön. Sie hatte ein freies, majestätisches Gesicht. Doch ließ sie in ihren Augen eine große Schamhaftigkeit und aus ihrem ganzen Wesen viel Sittsamkeit erblicken. Ihr Gewand schien sehr schlicht zu sein. Die Schöne blickte bescheiden zu Boden und stellte sich als „die Tugend“ vor.
  • Die andere war üppig und mit kostbaren Gewändern geschmückt. Sie schien sehr zärtlich zu sein. Ihre Blicke waren kühn und unverschämt, und sie ließ solche überall herumfliegen. Die prächtig gekleidete Frau stellte sich als „die Lust“ vor.

„Die Lust“ sprach zu Herakles

„Wenn du meinem Weg folgst, Herakles“, so sagte sie, „so wirst du ein Leben voller Genuss und Reichtum haben. Weder Not noch Leid werden dir hier begegnen, sondern nur die Glückseligkeit!“

„Die Tugend“ ergriff nun auch das Wort 

„Die Liebe der Götter und seiner Mitmenschen lässt sich nicht ohne Mühsal erreichen. Auf dem Weg der Tugend wird dir viel Leid widerfahren, doch dein Lohn wird Achtung, Verehrung und Liebe der Menschen sein. Nur du kannst entscheiden, welcher Weg der deinige sein soll.“

Herakles am Scheideweg – wie entscheidet er sich?

Beide Frauen versuchten, Herakles zu überzeugen, sie und nicht die andere, zur Führerin seines Lebens zu wählen. Herakles wählte, so der Philosoph Prodigos, den Pfad der Tugend. Den Pfad der Lust aber ließ er „links“ liegen.

Beide hätten mit fort gemusst!

Ich halte die Entscheidung zwischen bescheidener Tugendhaftigkeit und üppiger Lust für irreführend. Denn ich bezweifle, dass ein Mensch überhaupt Lust zum Leben hat, wenn er Lust und Tugend voneinander trennt. Doch gehört die Geschichte von Herakles am Scheideweg zur Allgemeinbildung, vor allem wohl deshalb, da sich viele Künstler an diesem Motiv versuchten. Auch wurde das Gleichnis im Laufe der Jahrhunderte von vielen Philosophen bedacht, kommentiert und diskutiert.

Einer von ihnen schrieb oder sagte zu Herakles am Scheideweg:

… dass Herakles sich ganz sicher nicht für die eine oder die andere entschieden hätte, beide hätten mit fort gemusst.

Wolfgang Heise (*)

* Ich finde das Zitat nicht mehr, vermutlich stammt es aus einer von mir besuchten Vorlesungen im Fach „Geschichte der Ästhetik“. Es müsste dann Wolfgang Heise gewesen sein, mein Prof. an der Humboldt-Uni in diesem Fach.

Der berühmteste der griechischen Helden – Herakles


Quellen

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