
Hestía (römisch: Vesta:) ist die mit Abstand unscheinbarste, stillste, aber auch die am meisten geachtete der 12 klassischen olympischen Gottheiten. Der Name Hestía (griechisch: Ἑστία) bedeutet so viel wie „Herd“. Und das Feuer im häuslichen Herd wie auch das heilige Feuer in den Tempeln zu hüten, war die Aufgabe, der die Göttin Hestía sich ganz und gar
widmete.
Vielen Dank an den umsichtigen Albrecht für seine kenntnisreichen Detailkorrekturen. Die umfangreicheren davon habe ich direkt im Text gekennzeichnet. Insgesamt, so schrieb er mir: „habe (er) etwas zu einigen Einzelheiten geschrieben, nicht zum überzeugenden Kern des Artikels, vor allem (die) Darlegung, was Hestia ihrem Wesen nach ist (betreffend).“
Die stille Göttin der Griechen
Leicht kann man diese stille Göttin übersehen, denn nur wenige öffentliche Kulte, die ihr geweiht waren, sind überliefert. Zudem gibt es gar keine eindeutig als Hestia identifizierte Statue. Doch dass die Göttin des Herdfeuers so unscheinbar ist, hat einen plausiblen Grund:
Götter sind nicht an ihren Gesichtszügen (der Physiognomie) zu erkennen, denn diese wandelt sich je nach Künstler, der sie darstellt. Man braucht etwas anderes, um einen Gott oder eine Göttin zu identifizieren, einen Dreizack zum Beispiel im Fall von Poseidon.
Erkennbar und unterscheidbar werden die Götter also meist durch ihre Machtinsignien. Blitze bei Zeus, der Gürtel, der sie unwiderstehlich macht, bei Aphrodite, der Strahlenkranz von Apollon oder der große runde Schild der Göttin Athen. Machtinsignien solcher Art hatte Hestia nicht. Einzig das Herdfeuer, in dessen Nähe sie sich immer befindet, ist ein Signal, dass es sich um diese Göttin handeln könnte.
Sie hütete das Haus, den Tempel und insbesondere die Flamme im Heiligtum. Als Zeichen für die Lebendigkeit eines Hauses durfte diese Flamme – und schon gar die eines Tempels – niemals verlöschen. Eine Symbolik, die wir heute nur noch vom Hörensagen – etwa vom olympischen Feuer – kennen.
Aktivität und große berühmte Taten der Göttin sind nicht überliefert – wahrscheinlich auch in der griechischen Antike nicht erzählt worden. Im Gegenteil, sie ist die Göttin der Griechen, deren Grundausrichtung Besinnung, Kontemplation und äußere Passivität zu sein scheinen.
Äußere Passivität der Hestía
Die passive Ausrichtung der Göttin belegen alle mir bekannten Erwähnungen dieser Göttin.
- Hestía ist das erste Kind von Kronos und Rhea – und wird als erstes seiner Kinder von Kronos verschlungen. Umgekehrt ist Hestia das letzte der Kinder, das Kronos auf Befehl seines jüngsten Sprosses wieder ausspucken muss. Sie ist daher das einzige der Kronos-Kinder, das mutterseelenallein in der Dunkelheit des Kronos-Inneren ausharren musste.
- Die Göttin schwört beim Haupte ihres Bruders Zeus, ewige Jungfrau zu bleiben. Und hält dieses Schwur ein – auch als Apollon, Poseidon und schließlich auch noch der Sohn des Dionysos – Priapos – sie begehren.
- Ovid erzählt von einem ländlichen Fest, an dem auch die Götter teilnahmen. Der trunkene Priapos naht sich der eingeschlafenen Hestia. Rechtzeitig weckte ein schreiender Esel des Silenos die Göttin – ob gewollt oder zufällig – erzählt Ovid jedoch nicht. Hestia schrie auf und floh auf und davon. Der schreiende Esel indes wird vom wütenden Priapos erschlagen. Fortan soll der Esel der Hestia heilig gewesen sein und als Sternbild an den Himmel versetzt worden sein.
- Als Dionysos der Platz von Hestia in der Runde der zwölf olympischen Götter gegeben wird, wehrt Hestia sich mit keinem Wort. Sie ist eh nicht auf dem Olymp zu Hause, sondern an den heimischen Herdfeuern.
Die zwölf olympischen Götter – Anmerkung von Albrecht
Was die 12 Götter der Griechen betrifft, füge ich an dieser Stelle eine Anmerkung von Albrecht ein:
Ein Zwölfgöttersystem und eine Vorstellung von olympischen Göttern sind nicht ganz dasselbe. Auf Herakles zurückgeführte Doppelaltäre in Olympia sind für Zeus und Poseidon, Hera und Athene, Hermes und Apollon, Dionysos und die Chariten, Artemis und Alpheios, Kronos und Rhea gewesen, wobei es wohl um Verehrung in Olympia ging, auf einigen Kunstwerken an verschiedenen Orten gibt es andere Zusammenstellungen als die alten üblichen Zwölf. Aber eine antike Erzählung zu einer Ablösung an einem Platz ist mir nicht bekannt:
- Hestía kann auf auf dem Olympos zu Haus gedacht werden. Die Gottheiten haben in einer antiken Vorstellung allgemein Häuser auf dem Olympos, offenbar auch Hestía. (Homer(os), Ilias 11, 73 – 77; Homer(os), Ilias 18, 184 – 186; Platon, Phaidros 246 e – 247 a (Zeus, der große Anführer im Himmel, fährt den geflügelten Wagen, zieht als erster los, alles ordnend und versorgend, ihm folgt die Heerschar der Gottheiten und Daimonen, in elf Abteilungen geordnet, allein Hestia unter den Gottheiten bleibt zuhause, die anderen herrschenden Gottheiten in der Zahl der Zwölf führen in der angeordneten Reihenfolge an)
- Hestía ist in den Häusern (Stätte des Herdes) gegenwärtig gedacht, auch in den der auf dem Olympos wohnenden Gottheiten. (Homerische Hymnen 29 (Eis Hestian; griechisch: Εἰς Ἑστίαν; An Hestia; lateinischer Titel: In Vestam), 1 – 4: Hestia hat ehrenvollen Wohnsitz in den hohen Häusern aller Unsterblichen und in den Häusern der auf der Erde wandelnden Menschen)
Hestía im heiligen Mittelpunkt von Haus und Tempel
Trotz ihrer Unscheinbarkeit ist die Göttin Hestía in der griechischen Antike also alles andere als eine unwichtige und wenig geachtete Göttin. Im Gegenteil. Sie gilt als ein Heiligtum, das in einer Statue zu ehren, ihrer nicht angemessen wäre. Auch das lässt sich belegen.
- Der Göttin Hestía wird bei allen Opferritualen zuerst – noch vor Zeus – geopfert. Sie ist die Erstgeborene – die weise Schwester des herrschenden Zeus, die heilige Göttin aller Tempel und Opferrituale. Wie Homer uns in seiner Hymne erzählt, ernährte Hestía sich von den Opfergaben der Tempel.
- Als Göttin des lebenswichtigen Herdfeuers wird Hestia in jedem Haus und auch jedem öffentlichen Gebäude verehrt und angerufen. Sie hegt und schützt – oft zusammen mit Hermes, der die Türen und Tore bewacht – das Heim der Menschen. Daher gilt Hestía auch als Hüterin der häuslichen Friedens.
- In dieser Rolle des Ausgleichs und des Friedens hat die griechische Hestía eine ähnliche Rolle wie die ägyptische Göttin der Ordnung – Ma’at. Auch Ma’at steht jenseits aller nur denkbaren Zwiste und hütet das Gleichgewicht.
- Das Sinnbild der Hestia – ihr heiliges Zeichen – ist der Kreis. Ein Sinnbild des Umfriedens und des Schutzes. Zugleich DAS Symbol des weiblichen Prinzips schlechthin.
- Der männliche Gegenpart der Göttin und auch praktischer Verbündeter – beim Hüten des Hauses – ist Hermes. Hermes erkennbar an den wegmarkierenden Hermen und an seinem Caduceus ist der Phallus als männliches Pendant zum weiblichen Kreis zugeordnet.
Ein Hohelied auf die Göttin des heiligen Herdfeuers

Das Hohelied des großen Dichters Homer auf die Göttin des Herdfeuers will ich euch natürlich auch nicht vorenthalten.
Hestia aber auch, die züchtige Jungfrau, verachtet
Aphrodites Taten. Der listige Kronos erzeugte
sie zuerst und zuletzt
nach Zeus‘, des donnernden, Ratschluss.
Und die heilige Göttin umwarben
Poseidon und Phoibos,
aber sie wollte nicht,
und, hart und trotzig sich weigernd,
schwor sie den mächtigen Eid,
der sich auch wirklich erfüllte,
während sie das Haupt des
donnernden Vaters berührte:
Jungfrau wolle sie bleiben,
die heilige Göttin, auf immer.
Zeus aber gab ihr
an Stelle der herrlichen Ehre:
Mitten im Hause zu thronen
und sich von Opfern zu nähren.
So ist sie hochgefeiert
in allen Tempeln der Götter,
gilt auch als würdigste Göttin
bei allen sterblichen Menschen.
aus dem großen homerischen Hymnos an Aphrodite, die Verse in einer deutschen Übersetzung sind: Homerische Hymnen 5 (Eis Aphroditen [griechisch: Εἰς Ἀφροδίτην; An Aphrodite; lateinischer Titel: In Venerem]), 21 – 32
Quellen:
- Text: Weitere Anmerkungen von Albrecht:
- Die sogenannten Homerischen Hymnen sind unter dem Namens Homers überliefert und ähneln in der Sprache den homerischen Epen, aber die wahrscheinlich vom 7. bis 5. Jahrhundert v. Chr. zu datierenden Götterhymnen sind nach fast allgemeinem Forschungsurteil nicht von Homer(os) gedichtet worden. (Michael Reichel, Epische Dichtung. In: Handbuch der griechischen Literatur der Antike. Herausgegeben von Bernhard Zimmermann und Antonios Rengakos. Band 1: Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit. Herausgegeben von Bernhard Zimmermann. Unter Mitarbeit von Anne Schlichtmann. München : Beck, 2011, S. 62: „Homerische Verfasserschaft ist für keine der Hymnen anzunehmen, wenn sie auch in der Forschung für die Lieder auf Apollon (III) und Aphrodite (V) gelegentlich vertreten wurde. Den alexandrinischen Philologen galten die Hymnen offenbar als unecht.“
- Herbert Jennings Rose, Griechische Mythologie : ein Handbuch. Aus dem Englischen übertragen von Anna Elisabeth Berve-Glauning. 3. Auflage. München : Beck, 2012 (Beck’sche Reihe ; 1530), S. 159: „Eine von Hephaistos stark abweichende Feuer-Gottheit war Hestia. An ihr läßt sich einmal eine überzeugende Identifizierung einer griechischen mit einer römischen Göttin beobachten, denn Hestia ist wirklich dieselbe wie Vesta, sowohl etymologisch wie in bezug auf ihre Funktionen. Sie ist einfach der von zahlreichen Völkern verehrte heilige Herd, der den natürlichen Mittelpunkt des Familienkultes bildet, da Feuer und Leben gewöhnlich gleichgesetzt werden.
Dasselbe bedeutet für den öffentlichen Kult der Königs- oder Häuptlingsherd, weil er in einer primitiven Gemeinschaft, wo es schwer ist, Feuer zu machen, von großer Bedeutung ist und der Häuptling dauernd ein öffentliches Feuer sowohl für praktische Bedürfnisse wie die Beschaffung von Licht als auch für rituelle Zwecke unterhält. Für den Mythologen freilich bietet Hestia sonst nicht viel Interessantes, weil sie eigentlich keinen Mythos hat. Sie war das Kind des Kronos und der Rhea und sie wollte Jungfrau bleiben – denn die unvermählten Töchter des Hauses pflegen den Herd – ,obwohl Apollon und Poseidon um sie warben.“
- Bilder: Wikipedia /












[…] Geschwistern führte Hestia ein sehr ruhiges Leben. Das Schlimmste, was sie je erlebte, war laut die-götter.de eine versuchte Vergewaltigung der schlafenden Göttin durch Priapos. Zum Glück weckte ein […]
Zeus ist auch mein Vater.
Moin!
Zwei Anmerkungen hätte ich:
1. Das sogenannte „Ewige Licht“ in jeder katholischen Kirche geht auch auf die Tradition der göttlichen Lebensflamme zurück, die niemals ausgehen darf.
2. Die Bücherreihen „Percy Jackson“ und „Helden des Olymp“ von Rick Riordan sind ein unfassbar guter Zugang zur griechisch-römischen Götterwelt. Exzellent recherchiert bindet der Autor die aus den klassischen Literaturvorgaben übernommenen Geschichten, Attribute und Charaktereigenschaften in die Züge seiner göttlichen (und auch halbgöttlichen) Protagonisten ein und spinnt darum eine hervorragende Jugendliteratur (die ja durchaus auch dem ein oder anderen Erwachsenen Spaß machen kann!)
Der 5. Band der erstgenannten Reihe trägt den Titel „Die letzte Göttin“ Naaaaa? Wer ist da wohl die olympische Hauptfigur?
In den zwei Bänden „Percy Jackson erzählt griechische Göttersagen“ und „Percy Jackson erzählt griechische Heldensagen“ erscheinen die Geschichten ohne jegliche zusätzliche Fiktion – aber in einer unwahrscheinlich schönen und lebendigen, zum Teil humorvollen und mit psychologischen Andeutungen gespickten Form.
In dieser Hinsicht ist auch das Buch „Myths“ von Stephen Fry natürlich absolut lesenswert.
Ok, das waren definitiv mehr als zwei Anmerkungen – hoffentlich habe ich niemanden gelangweilt.
Herzliche Grüße von der Nordsee
Philemon
hallo – eine sehr unbekannte Göttin, wirklich. Wusste nicht, dass sie eine der 12 ist.
Hestia mag ich
sie ist so still und zurückhaltend. Aber darin liegt eine erstaunliche Kraft.
Endlich! 😉
Danke Angel!
Guter Bericht. Ziemlich viel für so eine unscheinbare Göttin, was du da geschrieben hast.
Hestia – Göttin der inneren Ruhe
was offenbar auch bei den Griechen nicht öde und langweilig war, sondern als Hüten der lodernden, heißen Flamme vertraut war.
Übrigens hab ich denn doch noch ein ansehnliches – find ich – Bild von Hestia aufgetrieben. Das langweilig schwarz-weiße der Vesta, das man überall findet, wollte ich euch nicht zumuten.
Angel
schon cool ich wusste nur
schon cool ich wusste nur nich das priapos auch etwas von ihr wollte (???)
Hestia und Priapos
seh ich da drei Fragezeichen ???
OK – dann erfänze ich noch die Story mit Priapos. Immerhin ging ein armer Esel dabei hops.
Angel
Hestia
Hallo Hermes-Fan und Hestia-Fan
Euch zu Ehren gibt es nun endlich auch über die bislang von mir verschwiegene Hestia bei den Göttern auf Reisen.
Danke euch. Hestia ist in der Tat interessanter als ich zunächst – Vorurteile halt – dachte.
Angel