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Götter verbinden alles – denn sie sind überall

Götter verbinden alles mit allem. Oder bin das Ich?
Götter verbinden alles mit allem. Oder bin das Ich?

Götter sind überall, allgegenwärtig, allmächtig, allwissend und möglichst auch allgütig. So haben sich Menschen Götter immer vorgestellt. Für die kosmotheistischen Götter der Antike galt es als ausgemacht und selbstverständlich, dass sie, die Götter überall sind. Überall, allgegenwärtig, in jedem Stein, in jedem Getier, jeder Wolke und Windhauch.

Anders bei den monotheistischen Götter. Diese galten als unerreichbar fern und eben nicht überall. Dafür aber waren sie, bzw. galten sie, als allmächtig.

Der Unterschied zwischen den alten und den ganz alten Göttern ist deutlich. Überall anwesend sein fühlt sich anders an und erleben wir anders als einen fernen, allmächtigen Gott. Gemeinsam aber ist den alten und den ganz alten Göttern – dieses merkwürdige: „all“

Verbundenheit ist ein existentielles Grundbedürfnis von Menschen

Götter, das scheinen sie alle gemeinsam zu haben, verbinden alles miteinander, egal wie winzig, fern, unsichtbar oder scheinbar nebensächlich. Alles mit allem. Sie haben alles im Blick oder im Gefühl, wie man das haben will.

Verbinden können und vor allem: Verbunden sein – das scheint Menschen sehr, um nicht zu sagen extrem wichtig zu sein. Verständlicherweise. Verbundenheit, so die moderne Wissenschaft, ist eines der drei existentiellen Grundbedürfnisse von Menschen. 

Und Grundbedürfnisse, die alle Menschen haben, halte ich für einen starken Hinweis, wie und auch: wozu überhaupt wir Menschen uns Vorstellungen von etwas Göttlichem oder eben Göttern machen. Und wie sich unsere Verstellungen im Laufe der Zeitalter nicht nur gewandelt, sondern sogar ins scheinbare Gegenteil verkehrt haben. 

Und auch wir Heutigen müssen uns die Idee, dass es Götter geben könnte, anders vorstellen als die Menschen vergangener Zeitalter. 

Aber wie? Ganz und gar ohne eine zentrale Instanz? Wie könnte es funktionieren, dass sich alles mit allem von selbst verbindet? Oder funktioniert es längst?

Allmächtige Götter sind out

So sehr wir Menschen verbunden sein wollen mit anderen und anderem: Einen zentralen Vermittler, eine allmächtige Gottheit, brauchen wir dafür nicht. Faktisch haben wir sie nie gebraucht. Oder noch deutlicher: Faktisch hat es sie nie gegeben. Sie erschien uns allmächtig, doch inzwischen wissen wir: Logisch ist eine allmächtige (allwissende usw. unfehlbare) Instanz unmöglich.

Bleibt die Tatsache und auch das ist eine Tatsache, dass Menschen Jahrtausende lang  annahmen, dass es eine zentrale göttliche Instanz gibt. Und sie waren damit auch eine beträchtliche Zeit lang erfolgreich.

Wo also steckt das Körnchen, das uns jetzt weiter helfen kann?

Ereignisse verbinden sich selbst

Götter verbinden alles - oder?
Götter sind überall – sie verbinden alles mit allem.

Hier kommt uns, seit fast 100 Jahren nun schon, die moderne Wissenschaft zur Hilfe,  Whitehead zum Beispiel, er war ein Pionier der modernen Wissenschaft. 

Whitehead geht von unendlich vielen kleinen und großen Ereignissen aus. Ereignisse aller Art sind es, zeigt Whitehead, und nicht etwa kleine Teilchen, aus denen die Welt besteht. 

Wichtig zu verstehen ist, dass Whitehead mit „Ereignis“ nichts auch nur irgendwie Dinghaftes meint. Das so selbstverständlich immer schon in Dingen denkende Denken will er ja überwinden. Ereignisse sind keine Dinge, sie geschehen, passieren, vollziehen sich.

Ein Beispiel für Ereignisse, das Whitehead verwendet, wären Empfindungen, Ahnungen und Gefühle. Sie sind da und können mitunter all unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, aber es sind keine Dinge, sondern es pulsiert, sticht, pocht oder fließt in unserem Körper. Und wenn wir darauf achten, was da ist, verändert es sich mitunter recht schnell. 

Ein anderes Beispiel, das nicht Whitehead, aber dann Luhmann immer wieder anführt, sind Kommunikationen – insbesondere gesprochene Sätze: Ein Satz wird gesagt und wenn er nicht ständig wiederholt wird, aufgeschrieben oder technisch konserviert wird, ist er schon vorbei, sobald er gesagt wurde. Es folgt der nächste Satz oder eine Gegenrede oder Schweigen. 

Ereignisse also kommen und gehen. Und es gibt, so Whitehead, niemanden, der all diese Ereignisse miteinander verbindet. Das ist auch nicht nötig, denn sie verbinden sich selbst – mit anderen Ereignissen. Und auch wir müssen dafür erst einmal gar nichts tun, sondern können uns darauf verlassen, dass sie es selbst tun.

Damit wären wir beim Thema „Verbinden“. Man könnte statt „Verbinden“ auch sagen: Kontakt aufnehmen, vernetzen, Zusammenhang herstellen, koppeln. 

Ereignisse werden nicht zentral miteinander verbunden, sondern verbinden sich selbst.

Ereignisse verbinden sich zu Systemen

Nicht jedes dieser Ereignisse hat Kontakt mit jedem anderen Ereignis, so dass es sich mit ihm auf irgend eine Weise verbinden oder auch nur reagieren könnte. Das wäre unmöglich, wenn es um unendlich viele geht. Schon in einer Schulklasse geschweige denn in einer Schule hat nicht jeder Schüler mit jeden anderen wirklich Kontakt. Sondern muss entscheiden, mit wem er – und was für eine Art von Kontakt haben will. Oder eben nicht. 

Das Fachwort für solche Entscheidungen, die jeder Mensch und jedes Ereignis eben auch schon ständig treffen muss und auch trifft, ist Selektion. 

Jedes Ereignis, verbindet sich zunächst einmal mit solchen anderen Ereignissen, die ihm mehr oder weniger ähnlich sind. Atemereignisse mit Atemereignissen, usw. Ähnliche Ereignisse bilden Systeme von Ereignissen. Atemsystem, Verdauungssystem, Nervensystem, Wahrnehmungssystem, Kommunikationssystem.

Systeme sind, ich unterstreiche das lieber nochmal, keine Dinge, sondern bestehen aus Ereignissen. Man kann sich das vielleicht so klar machen: Systeme bestehen nur dann und nur so lange, wie sich bewegen, verändern, fließen, auflösen um sich neu zu sortieren, ein ständiges Lösen und Binden. Eine alte magische Weisheit übrigens: Solve et Coagula.

System + System erzeugen ein Drittes

Bleibt die Frage, wie sich Systeme verbinden oder koppeln lassen. 

Umberto Maturana und Niklas Luhmann beschreiben Kopplungen zwischen Systemen als Kopplungsmechanismen. Wichtig wieder, um sich passende Bilder machen zu können: Ein Kopplungsmechanismus ist etwas Drittes, das weder zu dem einen noch zu dem anderen System gehört. Und mehr noch: Dieses Dritte, das beide Systeme miteinander verbindet, gibt es noch nicht. Es muss von den beiden Systemen, die sich miteinander koppeln wollen, erst erzeugt werden. 

Das klassische Beispiel dafür ist die Sprache – bzw. genauer: Die Beschreibung, unter welchen Umständen Sprache sich entwickelt haben könnte. 

Ein ungefähr passendes Bild bekommst Du vielleicht, wenn Du dir Sprache als eine Art Brücke vorstellst. Sie wird von beiden Seiten mehr oder weniger gleichzeitig gebaut. Sie ist also nicht einfach da, sondern entsteht nur dann und nur solange, wie es etwas zum Austauschen gibt, das für beide Seiten interessant ist.

Ereignisse verbinden und lösen sich wieder

Und damit sind wir schon bei der Lust: Nicht zu vergessen, für Götter bekanntermaßen sowieso superwichtig: Einzelne Ereignisse, wie auch Systeme, verbinden sich selbst nur dann und nur so weit, wie sie Lust dazu haben.

Mehr braucht es nicht, denn jedes dieser anderen Ereignisse verbindet sich selbst, nach seinen eigenen „Bedürfnissen“, auf dieselbe Weise mit (einigen) anderen Ereignissen.

Zu Zeiten als diese oder jene allmächtige Gottheit erfunden wurde, kannte man Systeme und deren Zusammenspiel noch nicht. Heute aber gibt es eine hoch entwickelte Systemtheorie. 

Auch hier wieder: Achtung: Wenn sich alles mit allem (selbst) verbindet, sind wir zwar die Sorge eines allmächtiger zentralen Instanz los, aber: 

Wie, nach welchen Kriterien nämlich, verbinde „Ich“ mich mit anderem? Kann ich, wenn es nach Lust geht, nicht komplett daneben liegen? Was ist, wenn ich nur in meiner Blase hocke? Wenn ich nur sehe, was ich sehen will?

Anmerkungen:

  • Das Wort System gab es schon im alten Griechenland. Es ist in etwa zur selben Zeit entstanden wie das Wort Thelema
  • Die Literaturliste zu Whitehead, Luhmann & Co findest Du hier.

Bildquellen: 

© Ioannis Ioannidis auf Pixabay / Gerd Altmann auf Pixabay


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