StartHelden & HeldenreiseDas Orakel von Delphi und der Held Telefos, Sohn von Herakles

Das Orakel von Delphi und der Held Telefos, Sohn von Herakles

Das Orakel von Delphi spielte immer mal wieder eine wichtige Rolle im Leben des Helden Telefos.
Das Orakel von Delphi spielte immer mal wieder eine wichtige Rolle im Leben des Helden Telefos. Gemälde von Michelangelo.

Im Leben des Helden Telefos spielte das Orakel von Delphi eine wichtige Rolle. Und so gab es auch einige überraschende Wendungen im Leben dieses Helden, der besonders in Pergamon verehrt wird.

Voraussichtliche Lesedauer: 11 Minuten

Telefos und das Orakel von Apollon

Das Leben des Helden und mythischen Königs Telefos hat einige überraschende Wendungen genommen. Ob bei seiner heimlichen Geburt im Athene-Tempel von Tagea oder ob des Weinstockes von Dionysos, der ihn im Kampf gegen Achill stolpern ließ – immer hatten die Götter mit den Wendungen im Leben von Telefos zu tun. Und so oft wie wohl sonst kaum befragte man das Orakel, zumeist wohl das Orakel von Delphi, was das Schicksal mit Telephos vorhaben mag. Vielleicht ist ja dies der Grund, warum dem Telefos ein Fries im Pergamonaltar gewidmet ist – obwohl er keine berühmten Heldentaten vollbracht haben mag. Mit dem Telephosfries jedenfalls ist zum ersten Mal in der griechischen Antike dem Leben eines einzelnen Helden ein ganzes Fries gewidmet. Neben dem Telephosfries gibt einige Gemälde und indirekte Quellen über Helden. Sie lassen ahnen, dass und noch mehr. Wie beliebt und hoch verehrt der König von Mysien in der griechischen Antike gewesen sein muss.

Aischylos, Sophokles und Euripides

Die drei großen Tragödiendichter des antiken Griechenland Aischylos, Sophokles und Euripides interessierten sich offenbar sehr für den tragischen Helden. Keine der Werke der großen Tragiker der Antike ist uns bis heute erhalten geblieben. Überliefert sind immerhin Kommentare anderer Dichter und Denker darüber und auch wenigstens einige Titel dieser Tragödien. Allein Sophokles schrieb, soweit wir das heute rekonstruieren können, vier oder sogar fünf Tragödien, deren Titel auf den Mythos rund um Telefos hinweisen: Aleaadae (Die Söhne des Aleus), Myser, Telephos und Eurypylus. Von Euripides ist der Titel einer Tragödie überliefert, in der es um die Mutter des Helden ging: Auge.

Das Orakel von Delphi und die Mächtigen der alten Griechen

Das Orakel von Delphi warnt schon vor Telephos, bevor Auge und Herakles sich überhaupt je gesehen hätten, geschweige denn, ihn schon gezeugt hätten. Ungewöhnlich sind solche Orakel im antiken Griechenland wohl nicht gewesen. Orakel vor oder gar weit vor der Geburt eines Kindes gab es gerade bei Königen viele. In diesem Fall fragte der König von Tagea das Orakel von Delphi, ob er seine Tochter überhaupt verheiraten soll.

Üblich waren solche und ähnliche Fragen an das Orakel von Delphi sogar unter den Göttern selbst. Zeus zum Beispiel befragte das Orakel, als seine erste Frau, Metis schwanger war, was zur Folge hatte, dass er sie und den Sohn in ihrem Leib auffraß. Nur Athene, das Zwillingskind, ließ er am Leben und gebar dieses Kind selbst. Athene – der Inbegriff einer Kopfgeburt also.

Hoch oben über den Dächern von Athen die beiden Götter Athene und Apollon. Beide mischten sie mit im Schicksal des Helden Telefos.
Hoch oben über den Dächern von Athen die beiden Götter Athene und Apollon. Beide mischten sie mit im Schicksal des Helden Telefos. In einem Athene Tempel wurde der Held geborgen, beim Orakel, welchem Apollon vorstand, holte Telefos sich Rat, wenn er in Not geriet.

Das Orakel von Delphi zum Schicksal des Helden und seiner Familie

Zurück zum König von Tagea. Das Orakel von Delphi warnte den König davor, dass ein Sohn seiner Tochter Auge Blutvergießen in der Familie anrichten würde, nämlich die beiden Brüder seiner Mutter töten würde. Und so kam es denn auch. Der König hätte seine Tochter Auge wohl töten lassen müssen, wenn er das mögliche Verderben um jeden Preis verhindern wollte. Doch wäre es nicht ein sicheres Verderben gewesen, wenn er Hand an Auge, seine eigene Tochter, gelegt hätte?

Ob Auge von all dem etwas wusste, wissen wir nicht und ein Mythos ist die Geschichte ja sowieso. Nur: Die großen Tragödiendichter hatten damit einen Stoff, aus dem sich trefflich Konflikte schmieden ließen. Statt sie zu töten also gab der König von Tagea seine Tochter in die Obhut von Athene, sodass Auge nun Zeit ihres Lebens keusch bleiben musste bzw. sollte. Ob eine Königstochter das als Geschenk oder als Fluch der Götter verstanden haben wird, weiß ich nicht. Möglich und denkbar wäre im antiken Griechenland beides. Die jungfräulichen Göttinnen, Hestia zum Beispiel, um neben Athene eine weitere nennen, und ihre Priesterinnen genossen ein hohes Ansehen.

Tragische Konstellation schon vor seiner Geburt

Schon allein die Titel der Tragödien weisen darauf hin, dass die Umstände seiner Zeugung und Geburt großer Stoff für eine Tragödie waren. Wir wissen nicht, welche tragischen Verwicklungen die antiken Tragödiendichter in den Mittelpunkt ihrer Werke stellten. Vorstellbar sind durchaus einige. In die tragische Verwicklung war ja nicht nur Telefos selbst, sondern wie wir schon sahen, der Vater seiner Mutter und seine Mutter selbst hineingezogen.

Das Heiligtum des Orakelgottes Apollon im historischen Delphi.
Das Heiligtum des Orakelgottes Apollon im historischen Delphi.

So auch Herakles. Herakles tat der jungfräulichen Priesterin Auge Gewalt an, als er sie schwängerte. Ob dem so war oder nicht und ob er sich dessen klar war oder nicht, ist nicht überliefert. Er soll betrunken und hoch verehrter Gast des Vaters von Auge, dem König von Tagea, gewesen sein. Und Auge sollte ihn, Jahrzehnte später, in höchster Not, anrufen. Scharf darauf, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, wird sie dennoch nicht gewesen sein.

Denn Auge selbst geriet in höchste Lebensgefahr, da sie als Priesterin ein Keuschheitsgelübde abgelegt hatte. Das Gelübde zu brechen bedeutete die Todesstrafe. Ihr Vater gab, nachdem sich mit dem Enkelsohn durch seine Tochter das Orakel in Erinnerung rief, den Befehl, sie und das Kind zu ertränken. Telefos schließlich, obwohl er sich daran später wohl nicht erinnerte, wurde in einem Hain der Athene im Wald ausgesetzt. So hoffte Auge, ihren Sohn vor dem Tod durch Ertrinken zu schützen und wusste es doch nicht. Einen eindeutig Schuldigen, das ist typisch für die antiken Tragödien, gab es nicht. Jeder tat, was er tun musste oder eben dies, was in seiner Macht stand.

Kommen wir zur nächsten Gelegenheit, in der das Orakel von Delphi helfen sollte.

Das Orakel von Delphi zeigt in Richtung Mysien

Telefos findet seine Mutter Auge in Mysien – genau so, wie es ihm das Orakel von Delphi geraten hatte. Mysien war zu jener Zeit ein Königreich auf dem Festland, dem Gebiet der heutigen Türkei, weit entfernt also von seinem Heimatort auf dem griechischen Festland. Auch solche Orakel, die nach dem Weg oder einem bestimmten Ort zu fragen, müssen im antiken Griechenland üblich gewesen sein. Odysseus beim blinden Seher Teiresias fällt mir sogleich ein. Und nicht nur in Griechenland, sondern auch in Rom. Man denke nur an die Irrfahrten des Aeneas. So jedenfalls berichten Mythen.

Was wir nicht wissen ist, welchen Grund es wohl gab, dass Telefos seine Mutter so unbedingt finden wollte, dass er das Orakel von Delphi befragte. Möglicherweise ging es darum, den Fluch seines ersten Orakels zu lösen. Inzwischen nämlich war Telefos herangewachsen. Im Streit, vermutlich, mit den Brüdern seiner Mutter war es um seine schmachvolle uneheliche Geburt gegangen. Telefos wurde zum Mörder und wurde mit dem Verbot zu sprechen bestraft. Die meisten Quellen was das Leben von Telefos betrifft, sind verschollen, wie oben gesagt. Gut möglich konnte der Fluch erst durch seine Mutter oder das Wiedersehen mit seiner Mutter aufgelöst werden. Jedenfalls konnte und durfte der Held in Mysien wieder sprechen.

Der König von Mysien sucht Heilung in Argos

Wieder sucht Telefos, der König von Mysien inzwischen, den Rat des Orakels. Das Orakel führt ihn zurück auf das griechische Festland, nach Argos. Und wieder weist das Orakel dem Helden den Weg an den richtigen Ort. Telefos ist wieder in einer existentiell bedrohlichen Lage, in einer solchen eben, in der Menschen (zu allen Zeiten) Orakel befragen. Achill, eine, wenn nicht die zentrale Figur in der Ilias, hatte ihn im Kampf verletzt. Der Kampf hatte nur wenige Stunde gedauert. Es war ein Überfall der Griechen auf die Stadt Mysien, der von einem Missverständnis ausgelöst worden war. Doch haben, selbst vergleichsweise kleine, Kriege ihre eigene Dynamik. Missverständnisse und Zufälle sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel, wenn es zu einem Krieg kommt. Es gab Tote und Verletzte auf beiden Seiten.

Wer dich verwundete, wird dich (auch) heilen

Das Missverständnis wurde schon nach einem Tag aufgehellt. Doch hatte Achill den König mit seiner Lanze am Oberschenkel verletzt. Die Griechen zogen nach einigen Wochen des Feierns weiter, doch die Wunde des Königs heilte und heilte nicht. Erklären ließ sich das – mit normalen Mitteln – offenbar nicht und so bat Telefos das Orakel von Delphi um Hilfe. Es gab ihm eine berühmt orakelhafte Antwort, nämlich diese: „ὁ τρώσας ἰάσεται“ („wer dich verwundete, wird dich (auch) heilen“). Dieses Orakel zu deuten schien Telefos erst einmal deutlich zu sein. Achill, Krieger zwar, war ein Schüler von Cheiron und also auch ein bedeutsamer Heiler. So machte sich der König von Mysien auf den Weg in das ferne Argos und hüllte sich, nach einigen Quellen (Euripides) in Lumpen gehüllt.

Achill und Telephos - Achill schabt Rost von seiner Lanze, um die Wunde von Telephos zu heilen.
Achill und Telefos (rechts im Bild) – Achill schabt Rost von seiner Lanze, um die Wunde von Telefos zu heilen.

Telefos, das griechische Heer und Troja

Schließlich baten auch die Heerführer des griechische Heeres auf dem Weg nach Troja das Orakel von Delphi um Rat. Sie bekamen die Auskunft, dass Telefos es sein würde, der ihnen den Weg nach Troja zeigen wird. Nur deshalb, so wieder Euripides, erfüllten sie Telefos seine Bitte, dass Achill ihn heilen möge. Achill hätte dies wohl gekonnt, doch brauchte es, bei dem Tragödiendichter Euripides, noch die Vermittlung von Odysseus, damit Achill die schwärende Wunde des Königs von Mysien, auf die rechte Weise heilen konnte. Der Dichter Euripides nämlich machte in seiner Tragödie „Telephos“ einen Unterschied zwischen Achills Heilkunst und seiner Lanze, welche als eine sehr besondere, magische Waffe galt. So bekam die Verwundung und langwierige, aber schließlich doch erfolgreiche Heilung von Telefos bei Euripides eine magische Bedeutung. Die Waffe des Achill war es, welche die Wunde heilen konnte und das auf ganz unkriegerische Weise: Achill schabt Rost von der Lanze, um die Wunde von Telefos zu heilen.

Quellen:

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